Ingo Müller und seine Frau erfanden die Borussia-Pappkameraden-Aktion. Foto: Christian Verheyen/Borussia Mönchengladbach

Sie alle lieben ihre Heimat und sind ihr sehr verbunden: Als der Lockdown das Leben und Arbeiten in Mönchengladbach zum Erliegen brachte, war für Marc König (FFK Covid / Support your local Heroes), Silke Müller sowie Oliver Leonards von Terz machen (Cinedrive) und Ingo Müller (Borussia-Pappkameraden) klar, dass sie handeln müssen. Für die „Business in MG“ haben wir den Akteuren über ihre jeweilige Motivation, Hürden und Türöffner sowie über ihre schönsten Erlebnisse und Wünsche gesprochen.

Woher kam Ihre jeweilige Motivation, den Mönchengladbachern in der Corona-Krise zu helfen?

Marc König: Als kreativer Mensch war ich schon immer auf der Suche nach der „einen Idee“, mit der ich etwas verändern kann. Die Tatsache, dass in unserer geliebten Stadt, die in meinen Augen eh schon viel zu kurz kommt, die Vielfalt an Cafés, Restaurants, lokalen Einzelhändlern und Kultur ohne Hilfe ggf. aussterben wird, ist zudem unvorstellbar. Mit wenig Aufwand etwas Großes bewegen und nachher sagen zu können „Ich habe zur Rettung beigetragen“, war hier Motivation genug.

Ingo Müller: Als wir die Idee zu den Pappfiguren hatten, war schnell klar, dass mögliche Überschüsse gespendet werden. Und mittlerweile ist eine stattliche Summe zusammengekommen. Sechsstellig. Das Geld bleibt in der Stadt und geht an verschiedene Organisationen wie etwa FPMG Supporters Club, dessen Umsätze komplett ausfallen und Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, an Nordkurve aktiv und u.a. an die Borussia-Stiftung.

Terz machen: Terz machen beutetet für uns auch, Verantwortung zu übernehmen in der Stadt bzw. der Region, in der wir zuhause sind. Zudem entstand in unserem Netzwerk schnell der Wunsch, trotz Krise, mit unserem gebündelten Know-how einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen

Herr Müller, wie kam die Idee mit den Pappkameraden für Borussia zustande, die ja ein internationales mediales Echo hervorgerufen hat?

Ingo Müller: Die Grundidee kam von meiner Frau. Wir waren krank und saßen in Berlin in Quarantäne, ich konnte nicht ins Stadion. Irgendwann schlug sie vor, dass wir ein Foto von mir in Block 16 aufhängen, damit ich wenigstens symbolisch dabei sein kann. Darüber habe ich nachgedacht, das Konzept für die App „seidabei-trotzdem.de“, die Umsetzung geschrieben, bei Druckereien recherchiert und mit Web-Entwicklern gesprochen. Borussia Mönchengladbach hat das sofort abgenickt und uns Fans und dem FPMG Supporters Club das Stadion zur Verfügung gestellt. Dann ging alles recht schnell. Mittlerweile verbringe ich den Tag im Stadion und gebe ich täglich Interviews. Vor allem ausländische Sender und Printmedien melden sich aus Russland, China, Japan, USA, Kanada, Großbritannien oder aus der gesamten EU. Verrückt! Aber Mönchengladbach und sein Club sind in aller Munde. So wurde aus einer kleinen Idee ein Riesenprojekt, das weltweit Beachtung findet.

Wie waren generell die ersten Reaktionen auf Ihre Ideen? Kopfschütteln? Skepsis? Oder völlige Euphorie gepaart mit Aufbruchsstimmung?

Terz machen: Im ersten Moment gab es schon Menschen, die uns gefragt haben, ob wir in diesen Zeiten ein Investment in eine Eventidee von über 120.000 Euro für richtig halten. Nachdem wir unser Konzept aber an den richtigen Stellen erläutert haben, war der Zuspruch groß. Vor allem von denen, die schon lange mit uns zusammenarbeiten.

Marc König: Zu Beginn des Projekts war das Ausmaß noch gar nicht klar. Ich habe mich gefühlt wie ein Vertreter. Als würde ich etwas verkaufen wollen. Viele haben die Idee hinter dem Projekt gesehen und sind mit eingestiegen, konnten sich aber bei Weitem nicht vorstellen, dass das Projekt so groß wird. Es gab tatsächlich ein Geschäft in dem ich „rausgejagt“ wurde. Der Großteil war sehr interessiert, unendlich dankbar, natürlich immer gepaart mit gesunder Skepsis, ob das Projekt den gewünschten Erfolg erzielt.

Ingo Müller: Erst wurden wir belächelt. Sowohl vom Verein als auch von Spielern und anderen Fans. Wir selbst haben auch nicht damit gerechnet, dass es mehr als 2.000 Pappen werden. Dass wir uns nun bei über 20.000 bewegen, ist überwältigend. Die Kritiker sind verstummt. Das ist aber auch unglaublich viel Arbeit. Wir mussten kilometerweise Stahlseile in der Nordkurve spannen und im Sitzbereich Holz verbauen. Aber viel war sonst auch nicht zu tun während des Lockdowns. Wir  – als Fans – wollen damit unseren Protest gegen Geisterspiele unterstreichen und gleichzeitig das Team unterstützen.

Herr König, was hat Ihre Aktion „Support your Local Heroes“ in der Stadt verändert – und inwiefern kann sie auch nach Corona weiterwirken?

Das Projekt zeigt nicht nur wie groß der Zusammenhalt hier sein kann, wenn es drauf ankommt, sondern auch was für eine Kraft entstehen kann. Wenn man nur zusammen an einem Strang zieht und Konkurrenzdenken und eigene Interessen hinter das Wohl der Gemeinschaft (SUPPORT YOUR LOCAL HEROES) stellt. Es hat sich eine Community gebildet. Endlich findet ein Austausch statt. Man hilft sich – und vor allem steht man für den anderen ein. Eine Solidargemeinschaft in dieser Art und Weise hat es vorher in Mönchengladbach nicht gegeben und diese wird hoffentlich auch weiter bestehen. Es wäre schlicht weg dumm, diese Gemeinschaft nicht weiter zu nutzen. Wie das Ganze aussieht, möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Nur so viel: Die Planungen laufen.

Wie lange hat bei den jeweiligen Projekten der Weg von der Idee zur Umsetzung gebraucht? Was waren Hürden, was Türöffner?

Terz machen: Die erste Mail an einen kleinen Verteiler zur Idee Autokino in Mönchengladbach haben Philipp und Oliver am 25. März verschickt. Am 18. April wurde das Kino eröffnet. Wir hatten zum Glück einen sehr engen Austausch mit der Verwaltung und mit unseren Sponsoren. Unser großes Team aus den vier Firmen hat dann 24/7 an der Idee gearbeitet. So konnten wir in sehr kurzer Zeit viel auf die Beine stellen. Unverständlicherweise gab es aber auch Akteure außerhalb des Teams, die aktiv versucht haben, das Projekt ins Wanken zu bringen. Keine feine Geste, vor allem nicht in Krisenzeiten.

Marc König: Von der Idee über die Umsetzung bis hin zum Start vergingen keine zwei Tage. Es musste schnell gehen. Feinheiten wollten wir nachher ausbügeln. Im Vordergrund stand schnelle Hilfe. Hürden gab es für uns keine. Die erste Bestellung kam am ersten Tag rein, das erste Radiointerview am zweiten. Die Presse wurde sehr schnell auf uns aufmerksam, sodass wir schnell eine enorme Reichweite und somit auch Umsätze generieren konnten.

Ingo Müller: Die Mentalität der Niederrheiner ist hilfreich. Außerdem haben wir als Berliner vorher schon gut und erfolgreich mit Borussia und lokalen Unternehmen gearbeitet. Es gab hier keine Hürden. Im Gegenteil. Alle waren sofort dabei. Die Firma Bolko Innenausbau hat kilometerweise Holz und Schrauben in rauen Mengen gespendet und geliefert sowie Personal zur Verfügung gestellt. Die Fanszene in Mönchengladbach und darüber hinaus ist immer schnell dabei, wenn Hilfe benötigt wird.

Das Team vom Sparkassen Cinedrive.

Silke und Oliver: Ist es eigentlich schwieriger, ein Musikevent wie das Horst-Festival oder ein Großkonzert umzusetzen oder in Windeseile ein Autokino hochzuziehen?

Terz machen: Das Arbeitspensum und das Stresslevel kann man schon miteinander vergleichen. Wir hatten auch ähnliche Aufgabe zu bewältigen, die uns aber heute um einiges leichter fallen. HORST war eben eine gute Schule für alles, was wir heute machen. Wir alle haben mittlerweile viel Erfahrung in Sachen Großevents und haben die nötigen Abläufe im Blut.

Was sagen die verschiedenen Initiativen und Kooperationen, die in Zeiten von Corona entstanden sind, über die Mönchengladbacher aus?

Marc König: Mönchengladbach ist wohl doch attraktiver als einige vielleicht gedacht haben. Ein so großes Bekenntnis zu unseren Local Heroes hätte auch ich nicht erwartet und das nicht nur aus der Stadt selber. Unsere Unterstützer kommen aus ganz Deutschland.

Terz machen: Die Menschen in unserer Stadt haben ein verdammt großes Herz. Unser Besucher, aber auch die Kooperationspartner und Förderer haben uns durchweg mit positivem Feedback überschüttet und uns motiviert, bis zum Ende an der Idee festzuhalten.

Was würden Sie rückblickend anders machen? Oder anders gefragt: Wo hat’s gehakt, was hätte besser laufen können?

Ingo Müller: Ich würde es wieder genau so machen! Alles läuft bestens. Die Niederrheiner haben eine sympathische und angenehme „Unschärfe“ bei großen Projekten, deren Ausmaße kaum abzusehen sind. „Dat wird schon!“ ist hier immer Tenor. Die motzen zwar auch oft, aber wenn es darum geht, Dinge umzusetzen, ist das hier ein zu 100 Prozent zuverlässiges und professionelles Völkchen. Wenn`s läuft, dann läuft´s.

Terz machen: Wir haben das Maximale aus den Möglichkeiten rausgeholt und neben einem ausgewogenen Kinoprogramm auch ein vielfältiges Eventprogramm umgesetzt, was u.a. auch Radio und Fernsehpromotion mit sich gebracht hat. Schön wäre gewesen, wenn es kein Konkurrenzverhalten innerhalb der Stadt gegeben hätte. Man hätte aus der Marke Sparkassen Cinedrive sicher auch für die Identifikation mit der Stadt Mönchengladbach noch mehr rausholen können.

Marc König: Rückblickend kann man sagen, dass wir nicht so leichtgläubig an das Projekt hätten rangehen dürfen. Das Team hätte von Beginn an größer sein sollen. So hätten wir einige Aufgaben schneller und besser meistern können. Ein weiteres Problem ist ganz klar die knappe Kalkulation. Wir sind nach wie vor „Non-Profit“. Allerdings mussten wir anfangs viele Kosten selber tragen, was in einem gewissen Umfang kein Problem darstellt, aber ab einer gewissen Anzahl von Bestellungen wird es dann schon kritisch.

Was war im Nachhinein das schönstes Erlebnis rund um Ihre Aktionen? Und was ist ihr Wunsch für die Zeit nach Ende der Pandemie?

Ingo Müller: Ich fand’s klasse, dass man sich zusammengerauft und bewiesen hat, mit gebotenem Abstand, Dinge realisieren zu können. Das nehmen wir mit in die Zeit danach. Das Ehrenamt hat aber die Kassen leergespült. Wir würden gerne mal wieder gegen Bezahlung arbeiten. Aber hauptsächlich wünschen wir allen Menschen, die das hier lesen, dass sie, ihre Freunde und Familien einfach gesund bleiben und finanziell überleben.

Terz machen: Am schönsten war das direkte positive Feedback unserer Besucher. Wir hoffen, dass wir nach der Krise mit unsere starken Veranstaltergemeinschaft aus Sound Magic, 3s GmbH, Ministry of Light und Terz machen in Zukunft noch mal in Sachen Großevents in Mönchengladbach aktiv werden können.

Marc König: Mein schönstes Erlebnis war unter anderem die Nacht vom 20. auf den 21. März. Am Freitagabend hatten wir einen Umsatz von 1.000 Euro. Ich lief freudestrahlend durchs Haus, erzähle es meiner Frau, die mich wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurückholte „Warte erst mal ab ob das Ganze so weiter geht“. Am nächsten Morgen waren es knapp 3.000 Euro und mir war klar, das Projekt geht durch die Decke. Mein Wunsch ist es natürlich, dass jeder Local Hero überlebt. Aber dann gibt es natürlich auch noch meine Existenz. Neben meiner Festanstellung als Webentwickler bin ich freiberuflich schaffend und auch hier würde ich gerne wieder mit Konzepten, Gestaltung und Umsetzung von Webprojekten Geld verdienen. Mein neues Berufsfeld, der Schnellstart von großen Projekten ist natürlich dann auch dabei.

Interview: Silvana Brangenberg

Links:

Support your local Heroes: https://www.supportlocalheroes.de/

Terz Machen: https://wirmachenterz.de/

Sparkassen Cinedrive: https://cinedrive.de/

Sei dabei – trotzdem (Pappkameraden): https://bilder.seidabei-trotzdem.de/

Family Affair (Firma von Ingo Müller): https://www.family-affair.net/index.html

Beitrag über die Pappkameraden im „Time Magazine“: https://time.com/5828699/soccer-cardboard-cutouts/

Promis, die für „Support your local heroes“ werben: Oliver Neuville, Kai Ebel und Torsten „Knippi“ Knippertz. Fotos: Kevin Mohr