Michel Hontoy, Projektmanager bei der WFMG, ist ein Experte für Innenstadtentwicklung und Einzelhandel.

In der nachfolgenden Analyse und den daraus abgeleiteten subjektiven Schlussfolgerungen beleuchtet WFMG-Projektmanager Michel Hontoy die derzeitige Situation der Hindenburgstraße in Mönchengladbach, ihre Frequenz, Nutzungskonzepte und die damit verbundenen Herausforderungen. Denn die Einkaufsstraße hat in den letzten Jahrzehnten einschneidende Veränderungen erlebt, auf die es nun Antworten in Form einer Revitalisierung zu finden gilt.

Mönchengladbach, mit rund 275.000 Einwohnern, ist ein bedeutendes Oberzentrum im Westen Nordrhein-Westfalens, das als wichtiger Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt dient. Die Stadt, bekannt für ihre Industriegeschichte, ihre lebende textile Historie und den Fußballverein Borussia Mönchengladbach, bietet viele Vorteile. Dazu zählen eine starke Infrastruktur, eine lebendige Hochschullandschaft und kulturelle Highlights wie das Schloss Rheydt. Die Stadt arbeitet aktiv daran, soziale Ungleichheiten zu bekämpfen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und neue wirtschaftliche Chancen zu fördern, um ihre Rolle als Oberzentrum der Region weiter auszubauen.

Trotz seiner unbestrittenen Stärken steht Mönchengladbach vor Herausforderungen. Eine davon ist die Revitalisierung der Innenstadt, die in den letzten Jahren unter strukturellem Leerstand und dem Wandel im Einzelhandel gelitten hat. Diese Probleme spiegeln sich teilweise in der Hindenburgstraße wider, die in den letzten Jahren an Attraktivität verloren hat. Die Hindenburgstraße ist die zentrale Einkaufsstraße in Mönchengladbach, die durch ihre historische Bedeutung und Funktion als Haupteinkaufsmeile bekannt ist. In den letzten Jahrzehnten hat sie Veränderungen erlebt, insbesondere durch die Eröffnung des Einkaufszentrums Minto, welches sowohl eine Anziehungskraft als auch eine Herausforderung für den umliegenden Einzelhandel darstellt.

 

Die Hindenburgstraße: Nutzung und Frequenz

Darstellung zur Frequenz auf der Hindenburgstraße | Quelle: Hystreet.com

Im deutschlandweiten Hystreet-Vergleich mit 350 Standorten nimmt die Hindenburgstraße den 118. Platz ein: hinter der Schulstraße in Stuttgart, der mittleren Breiten Straße in Lübeck und vor der Breiten Gasse in Nürnberg sowie der Kortumstraße in Bochum. Die Hindenburgstraße ist dabei für viele die Haupteinkaufsstraße der Stadt. Innerhalb von Mönchengladbach stellen die Frequenzwerte der Hindenburgstraße folglich Spitzenwerte dar.

Sie erstreckt sich zwischen dem Hauptbahnhof der Stadt Mönchengladbach und dem Alter Markt mit einer lebendigen Gastroszene auf einer Länge von über 1,1 km und im oberen Teil mit einer Steigung von 5–6 %. Daher wird die Straße im Volksmund auch als steilste Shopping-Meile Deutschlands bezeichnet.

Die Laserfrequenzmethode von Hystreet kann punktgenau eingesetzt werden und ist aus Sicht des Autors an dieser Stelle zuverlässiger als viele andere Methoden. Die Use-Cases für die Laser-Auswertungen sind an sich interessant. Um Informationen aus weiteren Blickwinkeln zu erlangen (Räume, Demografie, Verweildauer u. a.), müssen entweder sehr viele Frequenzzähler eingesetzt werden, oder es werden unterschiedliche Methoden miteinander „verschnitten“. In diesem Fall hat die Wirtschaftsförderung Mönchengladbach Mobilfunkdaten der Firma PlaceSense hinzugezogen. Hier werden Daten, die für die Standorte in statistisch ausreichend relevanter Anzahl vorliegen, hinzugezogen. Es sei angemerkt, dass beide Systeme aufgrund unterschiedlicher Methoden und Bezugspunkte (Polygon vs. Laserpunkt) nicht miteinander verglichen werden können. Aus den Vergleichen innerhalb des jeweiligen Systems lassen sich jedoch Erkenntnisse ableiten. Aus der PlaceSense-Analyse ergibt sich: Die Hindenburgstraße ist in drei Hauptabschnitte unterteilt – obere, mittlere und untere Hindenburgstraße. Jeder Abschnitt weist unterschiedliche Frequenz- und Nutzungsmuster auf.

Mittlere Hindenburgstraße, mit dem Minto als überregionalem 4-Sterne-Einkaufszentrum:

    • Frequenz: Höchste Besucherfrequenz mit über 15 Millionen Besuchern pro Jahr im gesamten Abschnitt, laut PlaceSence.
    • Funktion: Hauptsächlich als Zubringer zum Minto-Einkaufszentrum.
    • Verweildauer: Höhere Aufenthaltsdauer im Vergleich zu anderen Abschnitten, was auf eine bessere Attraktivität hinweist.

Obere und untere Hindenburgstraße:

    • Frequenz: Niedrigere Besucherzahlen (50-60% der mittleren Hindenburgstraße).
    • Funktion: Hauptsächlich Durchgangsverkehr, höhere Leerstandsquoten, vor allem an der oberen Hindenburgstraße und teilweise, im Vergleich zum Minto, „unattraktive“ Ladenkonzepte.

Frequenzen Hindenburgstraße – durchschnittliche Monatswerte 2023: Minto nimmt über 50% der Frequenz an der mittleren Hindenburgstraße ein | Quelle: PlaceSence

 

Die Rolle und Bedeutung des Minto

Das Minto, eröffnet 2015, ist nach wie vor eines der modernsten Einkaufszentren Deutschlands und zieht monatlich etwa 550.000 Besucher an. Es hat Kaufkraft nach Mönchengladbach zurückgebracht und der Stadt ein neues, positives Image verliehen. Allerdings hat das Minto auch negative Auswirkungen auf die umliegenden Einzelhandelslagen:

  • Zentraler Anziehungspunkt: Das Minto fungiert als „Stadt in der Stadt“ und zieht Besucher von außerhalb an, die hauptsächlich das Einkaufszentrum besuchen.
  • Entkopplung des Einzelhandels: Der restliche Einzelhandel entlang der Hindenburgstraße profitiert wenig von den Besuchern des Minto.
  • Entwertung der „1A-Lage“:  Geschäfte entlang der Hindenburgstraße mussten schließen oder wurden durch weniger attraktive Konzepte ersetzt. Dadurch droht die Straße an Attraktivität zu verlieren. Es entsteht ein größeres Gefälle der Mietpreise zwischen dem Minto und weiteren Lagen der Hindenburgstraße.

60-80% der Kundschaft anderer Geschäfte besuchte 2023 auch regelmäßig das Minto – umgekehrt profitieren andere Geschäfte lediglich um 3-17%. von Minto-Besuchern | Quelle: PlaceSence

 

Deutung der Situation und Bedarf an der Hindenburgstraße

Die aktuelle Situation zeigt, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, wenn die Hindenburgstraße als lebendige Einkaufsmeile erhalten und gefördert werden soll, um die Rolle der Stadt als Oberzentrum zu stärken. Während die Gesamtstrategie der Stadtplanung die wichtigen Oberthemen Funktionalität, Begrünung, Aufenthaltsqualität und Verkehr aufführt, besteht hier im Konkreten ein Bedarf, Menschen auch vermehrt aus dem Minto „herauszulocken“, z.B. durch:

  • Attraktive Nutzungskonzepte: Entwicklung neuer, ansprechender und andersartiger Nutzungskonzepte, um die Attraktivität der gesamten Hindenburgstraße zu steigern. Hierbei gilt es zu beachten, dass der Einzelhandel deutlich an Flächenproduktivität verloren hat und somit insgesamt weniger Fläche benötigt.
  • Verbesserung der Aufenthaltsqualität: Maßnahmen zur Erhöhung der Verweildauer und der Aufenthaltsqualität entlang der Straße, für Kunden und Besucher der Stadt.
  • Stärkung der Synergieeffekte: Strategien zur besseren Verknüpfung des Minto mit den direkt umliegenden Einzelhandelslagen sowie möglicherweise neu anzusiedelnde Nutzungskonzepte.

Im nahegelegenem Roermond werden zwischen dem Design Outlet und der 5 Minuten entfernten Innenstadt vergleichbare Ansätze verfolgt, wobei ca. 10 % der Besucher des Outlet-Centers die kompakte Innenstadt von Roermond mit ihrem vielfältigen Gastronomie- und Aufenthaltsangebot tatsächlich besuchen.

Gesamtsituation Mönchengladbach – Hoher Anteil freier Einzelhandelsflächen versus geringeren Bedarf an Einzelhandelsflächen | Quelle: WFMG/Le-An von 2022

 

Diskussion Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze

Die Hindenburgstraße steht vor drei wesentlichen Herausforderungen:

  • Frequenzen und Belebung um das Minto herum – Menschen dazu bringen, auch einmal aus dem Minto herauszugehen
    • Herausforderung: Besucher des Minto frequentieren selten die umliegenden Geschäfte. Es gilt, die Top-Frequenzbringertage (in der Regel samstags und der verkaufsoffene Sonntag im Sommer) optimal zu nutzen.
    • Lösungsansatz: Maßnahmen zur Verbesserung der Synergieeffekte, wie die Schaffung attraktiver Übergangsbereiche, bessere Beschilderung und Organisation von kleinen und größeren Veranstaltungen. Gemeinsame Marketingkampagnen und Rabattsysteme zwischen Minto und umliegenden Geschäften.
  • Neue Nutzungen entlang der Einkaufsstraßen und Schaffung von Konzentrationsbereichen
    • Herausforderung: Höhere Leerstände und teilweise unattraktive Einzelhandelskonzepte.
    • Lösungsansatz: Entwicklung eines Masterplans zur Neunutzung und Umstrukturierung der Hindenburgstraße. Verkleinerung und Konzentration des Einzelhandels auf die mittlere Hindenburgstraße. Ansiedlung attraktiver Einzelhandels- und Dienstleistungskonzepte, kultureller Einrichtungen und gastronomischer Angebote sowie neuer Freizeitangebote.
  • Erhaltung und Steigerung der Wertigkeit über die gesamte Strecke
    • Herausforderung: Verlust an Wertigkeit für Immobilienbesitzer und Nutzer der Flächen. Mangelnde Begrünung, unattraktive Aufenthaltsbereiche und Sicherheitsprobleme.
    • Lösungsansatz: Investitionen in das optische Bild und infrastrukturelle Aufwertung der Hindenburgstraße. Maßnahmen zur Begrünung, Schaffung attraktiver Aufenthaltsbereiche und Verbesserung der Sauberkeit und Sicherheit. Dialog mit Immobilienbesitzern zur Förderung gemeinsamer Investitionen.

 

Fazit

Die Hindenburgstraße in Mönchengladbach steht aus Sicht des Autors vor Herausforderungen, die jedoch mit einem gezielten, strategischen und aufeinander abgestimmten Ansatz gemeistert werden können. Durch die Konzentration auf attraktive Nutzungskonzepte, die Verbesserung der Synergieeffekte und der Funktionalitäten rund um das Minto sowie die Erhöhung der Wertigkeit der gesamten Straße kann die Hindenburgstraße zu einer wieder attraktiveren Flaniermeile werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Stadt, den Immobilienbesitzern, Einzelhändlern und der Bevölkerung ist dabei entscheidend, um langfristige und nachhaltige Erfolge zu erzielen.