Dr. Carsten Knaut lehrt und forscht an der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der TH Köln im Bereich Personal & Digitale Arbeitswelt. Im Interview für die „Business in MG“ spricht er etwa über die Digitalisierung, den „New-Work-Virus“ und Chancen in der Corona-Pandemie.
Die Digitalisierung ist nach wie vor das Megathema. Sie haben sich auf die digitale Arbeitswelt spezialisiert. Warum ist dieses Feld für Sie besonders spannend?
Carsten Knaut: Technologischer Fortschritt an sich ist schon etwas extrem Spannendes. Die exponentielle Entwicklung vieler Technologien ist für uns Menschen kaum erfassbar. Was vor wenigen Jahren noch als verrückte Fantasie in Hollywoodfilmen erschien, ist heute für uns Teil des Alltags. Mich fasziniert, was das mit uns Menschen macht. Wie es uns verändert und wie wir einander helfen können, damit umzugehen.
Immer mehr hippe Unternehmen verfallen dem „New-Work-Virus“ und ersetzen platt gesagt ihre Büros durch Hipster-Lounges mit Ohrensesseln und Retro-Beleuchtungsmitteln, um die sich Bewerber nur so reißen. Doch reicht ein innovatives Arbeitsumfeld allein aus oder braucht es auch einen anderen Führungsstil?
Carsten Knaut: Der „New-Work-Virus“ ist eine sehr positive Variante von Virus, gegen die es definitiv keine Impfung geben sollte! Sein Erfinder Frithjof Bergmann möchte die Arbeitswelt stärker an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Wir sollen freier und selbstständiger arbeiten können und stärker an der Gemeinschaft teilhaben. Ob Frithjof Bergmann bei seiner Idee an Ohrensessel als Instrument gedacht hat, ist mir nicht bekannt. Seiner Idee liegt ein positives Menschenbild zugrunde, wonach die große Mehrheit von uns etwas gestalten und Teil einer Gemeinschaft sein möchte. Diese Sicht deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der Motivationspsychologie. Für mich zeichnet sich gute Führung genau durch dieses positive Menschenbild aus. Eine gute Führungskraft vertraut ihren Mitarbeiter*Innen und stellt sich in deren darf. Es bedeutet, dass man Rahmenbedingungen schafft, die sowohl den Menschen als auch der Organisation gerecht werden. Dies erreicht man, indem man gemeinsam Ziele definiert und klare Regeln festlegt – aber es den Mitarbeiter*Innen überlässt, wie sie, im Rahmen der vereinbarten Regeln, ihre Ziele erreichen.
Welche Möglichkeiten ergeben sich in der digitalen Arbeitswelt durch Corona?
Carsten Knaut: Durch die Pandemie konnten viele nicht digitale Unternehmen einen Teil ihres riesigen Rückstandes auf die Digitalkonzerne aufholen, da sie gezwungen wurden, Dinge auszuprobieren. Und sie haben festgestellt, dass es funktioniert. Ich hoffe, dass die Pandemie das Vertrauen der Unternehmen in ihre Mitarbeiter*Innen nachhaltig gestärkt hat. Die Organisationen sehen, dass die meisten Menschen eigenverantwortlich und zugleich im Sinne der Organisation handeln. Dieses Vertrauen bildet die Grundlage für Innovation.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um mehr Innovationen zu entwickeln und diese auch zu fördern?
Carsten Knaut: Innovation braucht Kreativität, und Kreativität braucht Freiraum. Hier könnte jetzt der Ohrensessel wirklich helfen. Um kreative Lösungen zu entwickeln, brauchen wir Menschen mentale Kapazität. Langeweile fördert beispielsweise Kreativität. Wenn Sie also jemanden im Ohrensessel sitzen sehen, können Sie entweder denken, die Person sei einfach faul oder sich bewusst machen, dass sie oder er vielleicht gerade eine neue Produktidee entwickelt.
Sie sind gebürtiger Mönchengladbacher. Wie beurteilen Sie die Entwicklung Ihrer Heimatstadt in Sachen Innovationskraft bzw. -freude?
Carsten Knaut: Ehrlicherweise habe ich erst kürzlich begonnen, mich aktiv mit den Entwicklungen in MG auseinander zu setzen. Was ich bisher lernen und entdecken durfte, hat mich sehr beeindruckt. Initiativen wie der Wissenscampus, nextMG oder das Rathaus der Zukunft mg+ zeigen, dass es in MG viele sehr kluge Köpfe mit innovativen Ideen gibt. Und wie könnte eine Stadt Innovationsfreude und -fähigkeit besser ausdrücken, als durch die Wahl eines jungen Oberbürgermeisters, der sowohl politische Expertise als auch unternehmerische Erfahrung mitbringt?
Welche Chancen bietet das Rheinische Revier als „Innovation Valley Rheinland“ für die Region?
Carsten Knaut: Wachstum braucht Mut, Veränderungsbereitschaft, Kreativität und Kapital. Als Logistik-Knotenpunkt mit einem Flughafen, einer Hochschule mit wichtigen Schwerpunkten zu Zukunftsthemen und vielen erfolgreichen mittelständischen Unternehmen hat MG unglaublich viel Potenzial. Das Wirtschafts- und Strukturprogramm „Rheinisches Revier“ ist für uns eine einmalige Chance, dieses Potenzial zu heben.
Silvana Brangenberg führte das Gespräch für unser Magazin „Business in MG“. Das Heft ist digital verfügbar: als ePaper unter www.wfmg.de/business-in-mg.html sowie als PDF-Download unter folgendem Link: https://www.wfmg.de/epaper/BinMG-2020-04/epaper/ausgabe.pdf.