Stefano Picco von spicOne (Foto: Peter Reibel)
Seit dem Jahr 2000 am Markt: Damit gehört die Mönchengladbacher Agentur spicOne zwar noch nicht ganz zu den Urgesteinen des Internets, ist aber angesichts der sehr schnelllebigen Branche ziemlich nah dran. Inhaber Stefano Picco spricht über Web-Design auf Basis von Text-Editoren, bahnbrechende App-Entwicklungen, Offshore-Plattformen, den Sektor M als Gründerschmiede und „the next big thing“.
Herr Picco, Sie sind schon seit 2000 selbstständig mit spicOne und zählen trotzdem erst 43 Jahre. Wie geht das?
Picco (lacht): Heute würde man das wohl ganz fancy als ein Startup bezeichnen. Damals war es zwar ziemlich ungewöhnlich, sich mit Anfang 20 selbstständig zu machen, besonders in so einem Bereich, es wurde aber ehrlich gesagt nicht groß thematisiert. Ich habe das einfach gemacht und es bis heute nicht einen Tag bereut.
Damals waren nicht nur Sie, sondern auch das Internet noch jung. Als Sie am 11. Oktober 2000 spicOne im Handelsregister eintrugen, war gerade die Dotcom-Blase geplatzt. Das ist für Teenager von heute so prähistorisch wie der Mauerfall.
Picco: Richtig. Angemeldet habe ich das Gewerbe sogar schon Ende 1998. Meine ersten Websites habe ich noch mit einem Texteditor gebaut, die erste gewerbliche war damals für und bei der Togrund GmbH. Ich bin ja von Hause aus Kommunikations-Designer und Logoentwickler, das Thema Web-Design kam dann nach und nach dazu. Seit 2005 arbeite ich mit dem CMS WordPress, irgendwann bin ich dann auch in den ganzen Social-Media-Hype mit reingewachsen.
Welche Projekte sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Picco: Zum einen natürlich die App für die WFMG – das war damals die erste eigene einer deutschen Wirtschaftsförderung überhaupt. Sie entstand zusammen mit meinem Entwickler Meinhard Gredig. Damals war ich über das Gründerzentrum V16 mit Martin Platzer ins Gespräch gekommen, der damals bei der Wirtschaftsförderung arbeitete. Wir haben die iPhone-App noch ganz „old school“ komplett auf Papier aufgemalt: und dann Wireframes gebaut, Piktogramme entwickelt, Karten für Gewerbegebiete gestaltet – das war alles Marke Eigenbau, da war nichts eingekauft.
Screenshot der ehemaligen WFMG-iPhone-App.
Das war 2010. 2011 wurde das Projekt dann sogar von Cisco Deutschland als einziges Best-Practice-Beispiel in diesem Bereich ausgezeichnet.
Picco: Ja, das war schon wirklich State of the Art damals, sogar eine Anbindung an eine regionale Immobiliendatenbank gab es. Leider schlief das dann nach etlichen Jahren aber ein, und irgendwann hatte sich das Thema dann auch überholt, nicht zuletzt als responsive Websites aufkamen.
Und weitere Lieblingsprojekte?
Picco: Neben der Website für DeinMG ist das besonders die Entwicklung von Logo und Corporate Design für Drahtseile Gebrüder Henschel, eine Firma aus Süchteln. Das war eine echte Herausforderung, dauerte in der Umsetzung sage und schreibe anderthalb Jahre – und hat bis heute durchschlagenden Erfolg. Nach außen mag sowas eine Banalität sein – aber die Mitarbeiter des Unternehmens haben das als extrem identitätsstiftend und teambildend aufgenommen. Vorher gab es dort nämlich überhaupt kein einheitliches Logo und Erscheinungsbild, heute sind alle stolz, das Logo auf ihren Klamotten zu tragen. Das wird regelrecht zelebriert. Und ich freue mich auch jedes Mal, wenn die mir Fotos schicken, wie sie auf Offshore-Plattformen in der Nordsee mit Overalls und Helmen herumlaufen, auf denen mein Logo zu sehen ist. Die Firma ist mittlerweile visuell greifbar – das ist mein Lieblings-Slogan. Denn er drückt auch aus, worauf es mir als Kommunikationsdesigner ankommt: nachhaltige, langfristige Geschäftsbeziehungen. Mit vielen meiner Kunden arbeite ich seit mehr als zehn Jahren zusammen.
Kontinuität ist das Stichwort. Sie sitzen mit spicOne im Sektor M an der Sophienstraße, hoben ihn damals im Jahr 2007 mit aus der Taufe gehoben, sind mittlerweile mit Carlos Albuquerque Geschäftsführender Gesellschafter.
Picco: Der Sektor ist mir zur zweiten Heimat geworden, und meinen Mitstreitern auch. Drei der fünf Gründungsväter, neben mir noch Carlos Albuquerque und Peter Reibel, sind bis heute dabei. Wir haben in der Tat eine sehr geringe Fluktuation – deswegen bezeichnen wir uns seit einiger Zeit auch als Inkubator. Denn wir haben irgendwann erkannt: Wer bei uns raus geht, tut es in der Regel, weil er mehr Platz braucht und wachsen will. Auch das eine oder andere Startup hat sich bei uns gegründet, zuletzt Renovido – die Gründer haben sich hier kennengelernt. Wir haben hier echtes Unternehmer-Knowhow für Gründer am Start, und es wird auch rege eingesetzt und genutzt.
2008 saß Stefano Picco im Sektor M noch am Fenster. Die Computer sahen noch etwas anders aus (Foto: Stefano Picco).
Die jungen Leute, die heute 20 sind und sich selbstständig machen, sind ganz anders aufgewachsen: Sie kennen kein Leben ohne mobiles Internet, Smartphones und allgegenwärtige Vernetzung. Was prophezeit der alte Hase: Was wird das „next big thing“?
Picco (lacht): An der Frage beißen sich ganz andere Leute schon länger die Zähne aus. Auch Apple hat ja schon länger nichts Revolutionäres rausgebracht, früher geschah das in sehr kurzen Abständen. Mir scheint es ein wenig, als habe die High-Tech-Branche einen gewissen Sättigungsgrad erreicht. Mixed Reality, Web-Apps – hier steht zwar der Durchbruch noch aus, aber man weiß eigentlich bereits, was da kommen wird. Ich könnte mir eher vorstellen, dass es ein wenig „back to the roots“ geht: dazu, dass viele Tools und Plattformen gleichzeitig genutzt werden, also weg von den großen Monopolisten und Lösungen.
Vielen Dank für das Gespräch, und alles Gute für die nächsten 20 Jahre.
Picco (lacht): Danke. Aber jetzt müssen wir erst einmal die Corona-Krise hinter uns bringen. Im Sektor sind wir bisher – toi, toi, toi – bis auf wenige Ausnahmen erstaunlich gut durch die Krise gekommen. Ich würde mir einfach wünschen, dass die schweige Mehrheit etwas mehr Außendarstellung hätte. Man hört meist die Querulanten, weil sie lauter sind. Aber ich betreue ja auch den Facebook-Kanal „41061 Mönchengladbach“, und da sehe ich: Der überwältigende Teil beißt bereits seit Monaten die Zähne zusammen, ist vernünftig und übt sich im Verzicht. Ich hoffe, dass wir da alle stärker rauskommen, als wir reingegangen sind.
Jan Schnettler führte das Interview mit Stefano Picco von SpicOne.