In der zweiten Ausgabe des WFMG-Podcasts begrüßen wir Dr. Thomas Grünewald, Präsident der Hochschule Niederrhein, als Gast. Er gibt Einblicke in die Arbeit der Hochschule Niederrhein, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Ein ganz besonderes Jubiläum, zu dem gemeinsam im Gespräch mit Silvana Brangenberg ein Blick zurück, aber vor allem auch nach vorne geworfen wird. Viel Spaß beim Reinhören!

(Bearbeitung Podcast: Axel Tillmanns)

Nachfolgend können Sie das gesamte Interview, das wir für die „Business in MG“ geführt haben, auch nachlesen (Transkription: Tim Jendritza, Bearbeitung: Silvana Brangenberg):

Präsident Dr. Thomas Grünewald | Foto: HSNR/Ivo Mayr

„Wir wollen Innovationspartner der Unternehmen sein“

Hochschulpräsident Dr. Thomas Grünewald spricht im Interview über die Zukunftsthemen der Hochschule, die enge Beziehung zur lokalen Wirtschaft, den Wissenscampus sowie über persönliche Wünsche, die er mit seiner Amtszeit verbindet.

Einmal mehr muss die Hochschule Niederrhein in Zeiten der Pandemie Kreativität und Anpassungsfähigkeit beweisen, indem sie ein Jubiläum feiert, ohne zu feiern. Wie geht das?

Dr. Thomas Grünewald: Indem man versucht, ohne Präsenzveranstaltungen möglichst präsent in der Region zu sein. Dafür nutzen wir digitale Medien. Wir haben beispielsweise eine Geburtstags-Webseite. Wenn Sie auf der Website der Hochschule Niederrhein auf das Symbol „50 Jahre“ klicken, verbirgt sich dahinter die wunderbare Welt der Hochschule mit tollen Geschichten und Traditionen. Aber wir gucken auch nach vorne. Das Motto des Jubiläums ist nicht nur die Historie, sondern auch die Zukunft.

Wir machen jetzt keine Präsenzveranstaltungen in der Region. Die Pandemie lässt das nicht zu. Aber wir versuchen, auf andere Weise aufmerksam zu machen. Nicht nur über die schon erwähnte Website, sondern beispielsweise auch durch Werbung im öffentlichen Raum: an Bussen und Straßenbahnen sowie digitalen Werbetafeln in den Städten. Wir haben unsere eigene Autoflotte mit Geburtstagsfolien beklebt. In Mönchengladbach, Viersen und Neuss fahren die Busse mit unserem Motto herum. In Krefeld sind es die Straßenbahnen.

Im zweiten Halbjahr werden wir vielleicht ein ganz klein wenig reduziert feiern können und hoffen, dass unsere Ernährungstechnologen die Chance kriegen, ein Geburtstagsbier zu brauen, das wir im September ausschenken können.

In 50 Jahren ist die Hochschule Niederrhein zur zentralen Nachwuchsschmiede am Niederrhein geworden. Darum auch die Botschaft: „Wegbereiterin. 50 Jahre Hochschule Niederrhein.“ Wenn Sie sich auf zwei Meilensteine als Wegbereiterin für den Standort Mönchengladbach beschränken müssten, welche wären das?

Dr. Thomas Grünewald: Zum einen unsere Textiltechnologie sowie unsere Textilforschung als Wegbereiterin einer Renaissance der Textilindustrie am Standort Deutschland. Zum anderen unser Studiengang Cyber Security Management als Wegbegleiter der Unternehmen im Prozess der digitalen Transformation. Diese beiden Ziele – ganz besonders verbunden auch mit dem Standort Mönchengladbach – verfolgen wir strategisch.

Wir haben für das zweite Ziel den Cyber-Management-Campus Mönchengladbach eröffnet und aus dem Stand für den Bachelor-Studiengang 140 Studierende angeworben. Inzwischen sind es noch mehr geworden und wir werden weitere Studiengänge dazu entwickeln.

Erst kürzlich hatten wir Besuch von Arne Schönbohm, dem Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Von ihm haben wir sehr viel Unterstützung für unser Vorhaben erhalten.

Die Mönchengladbacher können stolz auf ihre Heimat sein und auf die Idee einer textilen Modellfabrik. Die T7 hat inzwischen eine erste Industrieansiedlung dingfest gemacht. C&A wird im Monforts Quartier an historischer Stelle ab Herbst Jeans produzieren, in einer digitalisierten, nachhaltigen und letztlich auch von globalen Liefer- und Versorgungsketten unabhängigen Art und Weise. Ich glaube, niemand hätte erwartet, dass so etwas nochmal möglich ist. Dank Textiltechnologie des digitalen Zeitalters ist es aber möglich, die Produktion unabhängiger von Hoch- oder Niedriglohnstandorten zu machen. Und wir wollen damit zeigen, dass wir es können. Das ist Aufwand. Ohne die Hochschule Niederrhein würde es das nicht gegeben. Und wir sind natürlich stolz, dass wir auf diese Weise auch ein wenig zu einem Meilenstein der Industriegeschichte Mönchengladbach beitragen können.

Das zielt schon ein bisschen auf die nächste Frage ab: Welche konkreten Pläne gibt es gerade im Hinblick auf den Strukturwandel durch die Zukunftsregion Rheinisches Revier?

Dr. Thomas Grünewald: Das fasse ich allerdings noch weiter. Das hat nicht nur mit Textil und Cyber Security Management zu tun. Die Hochschule Niederrhein will im Strukturwandel der Innovationspartner der Unternehmen sein. Besonders der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Hochschule möchte in diesem langen, langen Prozess bis 2038 in jedem Jahr mit ein, zwei, drei Projektideen in die Ausschreibungen des Regelprogramms der Zukunftsagentur einsteigen.

Und wir werden die Themen entsprechend unseres Kompetenzprofils ausspielen – beispielsweise digitale Geschäftsprozesse und Technologien, Gesundheit und Ernährung, sozialer Wandel und ökonomische Transformation, nachhaltige Entwicklung, Logistik und Verkehr, funktionale Oberflächen und Materialforschung. Das alles ist jetzt nur der Versuch, anhand von Begriffspaaren die fachliche Expertise der Hochschule Niederrhein aufzuschlüsseln. Da ist Textiltechnologie wie eben erwähnt und Cyber Security Management eine Ergänzung zu. Aber eben nicht alles.

Wir müssen uns klarmachen, dass der Strukturwandel ein kontinuierlicher Prozess ist. Dieser wird uns jetzt bewusster durch die politische Entscheidung, aus der Braunkohleförderung sowie Braunkohleverstromung auszusteigen. Aber auch ohne das: Strukturwandel findet immer statt. Eine Hochschule, die Bildung, Ausbildung und Technologieentwicklung vertritt, ist immer ein guter Partner in Strukturwandelprozessen. Wir müssen uns daran gewöhnen: Strukturwandel ist ein kontinuierlicher Prozess. Es wird niemals einen Stillstand geben, und wir sind immer der Partner der Zukunft. Genau das wollen wir auch in der Zukunft in der Rolle des Innovationstreibers im Rheinischen Revier ausspielen.

Was versprechen Sie sich von den Planungen rund um den Wissenscampus auf dem Gelände des ehemaligen Polizeipräsidiums, der ja nur einen Steinwurf vom Campus entfernt ist?

Dr. Thomas Grünewald: Das ist zunächst einmal eine großartige Chance für den Standort und auch eine ziemliche Herausforderung, vor der man nicht bange sein darf. Man muss das als wirklich große und auch langfristige Aufgabe angehen. Wenn das gelingt, dann entsteht dort ein inspirierender Ort der Begegnung.

Er muss geeignet sein, Partner*innen sowie Gesprächspartner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenzuführen, um dort den Dialog über Möglichkeiten der Zusammenarbeit, über zukünftige Ideen und Initiativen sowie über Innovation zu treiben. Ich denke da an einen Innovationscampus, der auf eine einladende, offene, anziehende Art und Weise für Menschen zu einem Magneten wird, die sich für die Themen Zukunft, Bildung und Innovation interessieren.

Die Hochschule Niederrhein ist immer mit der Zeit gegangen. Zuletzt etwa durch die Ansiedlung der Cyber-Sicherheit-Thematik. Welche neuen Themenfelder könnten Sie sich zukünftig noch vorstellen?

Dr. Thomas Grünewald: Wir wollen jetzt im nächsten Schritt das Cyber-Security-Thema weiter ausbuchstabieren. Mit dem Studiengang Cyber Security Management ist das erst ein Anfang einer hoffentlich längeren erfolgreichen Geschichte. Bei Cyber Security Management geht es darum, Menschen für den Prozess der digitalen Transformation fit sowie kompetent zu machen.

Wir wollen dazu ein weiteres Studienangebot in nächster Zeit entwickeln: die digitale Forensik. Es richtet sich sowohl an den Staat, die Polizei und ihre Beamtinnen und Beamten als auch an Unternehmen, die ihrerseits mit Cyberkriminalität zu tun und zu kämpfen haben. Die findet in einem immer größeren Ausmaß statt. Das hat mit der immer weiteren Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche zu tun. Natürlich verlagert sich dann auch der Ort, wo Menschen ihre Grenzen und ihre Möglichkeiten ins Digitale hinein überschreiten. Natürlich müssen die Gesellschaft, die Wirtschaft und unser Staat darauf achten, dass solche Formen von Cyber-Kriminalität unterbunden, erschwert und auch geahndet werden. Genau dafür wollen wir die nächste Stufe zünden, nämlich mithilfe der digitalen Forensik. Das ist ein Entwicklungsvorhaben, das wir am Standort Mönchengladbach in der nächsten Zeit vornehmen wollen.

Im Übrigen haben wir weitere Zukunftsthemen, die wir vorantreiben wollen und für die Region von Bedeutung sind. Dazu zählen vor allen Dingen die großen Themen des Gesundheitsbereiches. Da starten wir im Herbst in Zusammenarbeit mit klinischen Partnern aus Mönchengladbach in die Ausbildung von Hebammen. Das ist ein weiteres Zukunftsprojekt der Hochschule Niederrhein, und wir möchten im Zuge der weiteren Akademisierung von Gesundheitsberufen Fachkräfte akademisch ausbilden. Diesen Prozess wollen wir aktiv mitgestalten.

Wir haben einen großen und immer weiter wachsenden Fachbereich für Gesundheitswissenschaften – sowohl in Krefeld als auch Mönchengladbach. Dieser kooperiert mit Kliniken in der ganzen Region. Wir wollen dort die Bereiche Pflegewissenschaften, Therapiewissenschaften, Hebammenwissenschaften immer weiter ausdehnen und auch auf diese Weise unserer Region und den Städten in der Region ein Angebot machen, hier teilzuhaben. Für die Fachkräftesicherung in der Region, für die gesundheitliche Versorgung der Menschen in der Region und letztlich auch für die Unternehmen der Gesundheitsbranche, die hier ansässig sind und die wir auf diese Weise im Innovations- und Modernisierungsprozess begleiten wollen.

Das klingt unheimlich spannend. Da hätte ich direkt nochmal Lust zu studieren, wenn man das alles hört, was Sie da so vorhaben. Echt klasse.

Dr. Thomas Grünewald: Fühlen Sie sich bitte eingeladen, das zu tun, weil inzwischen nicht nur bei uns, sondern in unserem öffentlichen Bildungssystem das Lebensbegleitende Lernen ein Leitmotiv geworden ist. Und es ist heute viel leichter, sich Bildungsinhalte auch berufsbegleitend anzueignen als noch in der Vergangenheit. Das wäre unmöglich gewesen. Da kommen wir langsam zu viel besseren Möglichkeiten.

Ein guter Aufruf in dem Zusammenhang! Sie haben gerade auch die Unternehmen erwähnt. Das wäre jetzt die nächste Frage: Jungen Menschen in der Region Perspektiven zu eröffnen, war und ist das Ziel der Hochschule. Dabei arbeiten Sie eng mit den Unternehmen vor Ort zusammen, indem sie Lehr- und Forschungsangebote verbinden. Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer DNA, die gewissermaßen zur Hochschule gehört. Was macht diese Kooperation am Wirtschaftsstandort Mönchengladbach für Sie so besonders?

Dr. Thomas Grünewald: Unsere Textil-City am Standort Mönchengladbach ist schon etwas ganz besonderes. Dort hat sich um den Kern des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik ein echtes Cluster gebildet, zu dem heute das Fraunhofer Institut, die öffentliche Prüfstelle für das Textilwesen, die Textilakademie NRW und ein großartiges Forschungsinstitut gehört. Natürlich ist die „MG zieht an“ ein Vorzeigeprojekt, das der Fachbereich seit über 20 Jahren gemeinsam mit der WFMG treibt. Und das sind nur ein paar Beispiele.

Wenn wir unseren Beitrag zur ökonomischen Entwicklung der Region bestimmen sollten, ist das Bildung, Ausbildung und Innovation sowie die Partnerschaft mit den Unternehmen, die in unserer Region typischerweise mittelständisch geprägt sind. Wir haben es mit einer Region zu tun, die glücklicherweise nicht von einer oder zwei Branchen abhängig ist, sondern einen sehr guten und breitgefächerten Branchenmix aufweist. Wenn Sie die Branchen der Region Niederrhein, der Städte Krefeld, Mönchengladbach oder Neuss ansehen und diese mit dem fachlichen Angebot der Hochschule Niederrhein und auch der fachlichen Entwicklung vergleichen, dann stellen Sie fest: Das Wachstum der Hochschule in zehn Fachbereichen ist keine davon losgelöste Entwicklung, sondern korrespondiert mit der ökonomischen Diversifizierung der Unternehmen und der Branchen und der Themen in der Wirtschaftsregion Mönchengladbach und in der Wirtschaftsregion Niederrhein.

Wir versuchen ein Anknüpfungsangebot sowie ein Identifikationsangebot für die wichtigsten Branchen der Region zu bieten. Ob es Ernährung, Lebensmittel, Textil, Digitalisierung, IT-Sicherheit die Gesundheitsbranche ist: Wir versuchen Schritt zu halten, um der erste Innovationspartner der Region Niederrhein zu bleiben.

Wie beurteilen Sie die langjährige Zusammenarbeit mit der WFMG? Was läuft gut und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dr. Thomas Grünewald: Wir haben mit der WFMG hervorragende Arbeitsbeziehungen auf vielfältigen Feldern, die teilweise sehr lange gewachsen sind. Ich habe eben die „MG zieht an“ erwähnt, die wir schon Jahrzehnte zusammen betreiben. Es sind kleine Beispiele aus einem ganzen breiten Portfolio. Als eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, die sich sehr streng ihrer Mission verschreibt, der Innovationspartner für die Unternehmen in der Region zu sein, ist es für uns selbstverständlich, mit dem Wirtschaftsförderer in der Region so eng wie möglich abgestimmt zu arbeiten, viele gemeinsame Vorhaben zu treiben und in der Zukunft offen zu sein für weitere.

So zum Beispiel bei der Unterstützung von Gründungen, in der Verbreitung des Gedankens von Entrepreneurship, in der Gewinnung junger Menschen, Schülerinnen und Schüler für die Themen der Bildung. Ob sie nun in die berufliche Bildung gehen, ins Handwerk, in die fachschulische Ausbildung, in ein Universitätsstudium – wir sind bereit und in der Lage, den jungen Leuten ein Angebot zu machen und sie dahin zu bringen, wo sie die beste Ausbildung oder die beste berufliche Bildung bekommen, die sie kriegen können. Bei uns oder bei anderen.

Wir verstehen uns da in einer Solidargemeinschaft mit dem Handwerk, mit den Branchen, mit den Betrieben. Die Vermittler sind natürlich die Wirtschaftsförderungen. Und deshalb brauchen wir sie. Sie brauchen uns hoffentlich auch ein Stückchen weit. Aber wir wissen sehr zu schätzen, was die Wirtschaftsförderung an der Stelle für uns tut.

Sprechen wir ein Thema an, an dem wir leider immer noch nicht vorbeikommen: Corona. Wie hat die Pandemie die Lehre an der Hochschule beeinflusst? Und gibt es etwas, das sie dauerhaft aus diesen Erfahrungen mitnehmen können?

Dr. Thomas Grünewald: Wir lieben es, die Pandemie als das zu charakterisieren, was sie ist: eigentlich eine Katastrophe. Die Katastrophe hat uns aber auch lernen lassen und Chancen gegeben, die Modernisierung voranzutreiben. Der Digitalisierungsschub, den wir als Hochschule durch die Pandemie in Lehre, Studium, Weiterbildung und Prüfung erhalten haben, den hätten wir nicht ohne Corona bekommen.

Jetzt bitte ich nicht missverstanden zu werden in dem Sinne, als sei die Pandemie auch nur in irgendeiner Hinsicht ein Glück gewesen. Nein, sie ist ein großes Unglück. Aber wir haben in diesem Unglück zeigen können, dass wir in der Lage sind, uns anzupassen und letztlich auch Lösungen zu finden. Wir hätten selbst nicht geglaubt, dass wir schaffen, was wir geschafft haben: keine Studierenden zu verlieren, allen Studierenden auf der Basis des Online-Studiums ein ordnungsgemäßes Studium weiter anzubieten.

Ich pflege an dieser Stelle gerne zu sagen, dass wir für unser digitales Studium noch keinen Schönheitspreis bekommen haben. Aber die gute Nachricht ist: Wir haben es überhaupt geschafft. Digitale Infrastrukturen, Bandbreiten, Leitungskapazitäten und Speicherkapazitäten. Wir haben das alles soweit ausgebaut, dass unsere Systeme zu keinem Zeitpunkt zusammengebrochen sind. Auch wenn Zoom bei uns in der Hochschule manchmal 50.000 bis 60.000 Zugriffe pro Woche hatte.

Wir haben es geschafft, was wir nicht für möglich gehalten hätten: Prüfungsformate zu digitalisieren, so dass die Studierenden die Alternative zu Präsenzklausuren erhalten haben. Wir haben sehr viel darüber gelernt, wie man digitale Lehre auch didaktisch gut macht. Ich sagte vorhin: Wir haben noch keinen Schönheitspreis bekommen, aber wir werden einen dafür anstreben, dass wir in der Zukunft das „Lessons Learned“ aus der Pandemie mitnehmen, wenn wir wieder das sein dürfen, was wir sind: eine Präsenzhochschule.

Aber wir werden die Unterstützung von Lehre und Studium mit den digitalen Medien nie mehr missen wollen. Wir werden das alles nutzen und es wird uns besser machen. Das ist eine an sich gute Erfahrung. Die teilen unsere Studierenden und unsere Lehrenden. Und wer wären wir, wenn wir nicht als Hochschule uns in der Lage zeigten, aus Krisen zu lernen und Lösungen für die Zukunft daraus abzuleiten? Dieser Prozess ist in vollem Gange und der macht uns allen Mut.

Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Als Sie im März 2020 das Amt als Präsident der Hochschule angetreten sind, folgte zwei Wochen später der erste Lockdown. Welche Nachteile, aber auch vielleicht welche Vorteile hatte oder hat das für Sie?

Dr. Thomas Grünewald: Vorteile hatte es überhaupt keine. Ich habe die Hochschule praktisch nicht anders erlebt als unter den Sonderbedingungen der Pandemie. Ich fühle mich aber trotzdem gut angekommen und angenommen. Die Haltungsnoten müssen mir andere erteilen. Aber es gibt jedenfalls an keiner Stelle in der Hochschule das Gefühl, wir hätten den Schwung verloren oder wir hätten jetzt irgendwie einen sehr großen Durchhänger.

Ich bin ein bisschen nachdenklich. Wir werden erleben, dass viele Studierende mit dem Onlinestudium größere Schwierigkeiten haben, weil sie einfach nicht die persönliche Betreuung vor Ort bekommen können. Am Bildschirm betreut zu werden ist immer steriler als in der Gruppe gemeinsam. Da mache ich mir über Langzeitfolgen Gedanken, die wir noch nicht absehen können. Wird der Studienerfolg unserer Studierenden gleich groß bleiben oder weiter ansteigen? Oder werden wir eine Delle erleben, weil doch eine leider zu große Zahl von Studierenden im Studien-Fortschritt nicht so vorangekommen ist, wie wir das erhofft haben?

Wir haben zwar allen die Möglichkeit gegeben, an der Lehre und an den Prüfungen teilzunehmen, aber wie gut haben sie es geschafft? Das ist ja eine andere Frage. Und das macht mir Sorgen. Da werden wir wahrscheinlich noch hart dran arbeiten müssen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen und vielleicht auch Studierende wieder einzufangen, die ein wenig den Tritt und den Fortschritt im Studium verloren haben.

Ansonsten möchte ich mich über nichts beklagen. Ich habe hier ein sehr gutes Ankommen gehabt. Ich hatte allerdings auch den Vorteil, dass ich weit über ein halbes Jahr vor meinem Dienstantritt gewählt worden bin und in dieser Zeit – die ja noch vor der Pandemie lag – schon die Gelegenheit hatte, alle Fachbereiche zu besuchen, die Dekane und Dekaninnen, das Präsidium und viele Leute in der Verwaltung, viele Professorinnen und Professoren schon kennenzulernen. Das war ein großer Vorteil für mich. Somit hatte ich am 1. März doch einen warmen Start, wenngleich einen warmen Start am kühlen Bildschirm.

Ein ganz anderes Thema: Die Hochschule ist im Bereich der Drittmittel-Akquise stark, zuletzt erfolgreich mit zwei Förderprojekten für Start-up- und Gründerförderung. Können Sie anhand dieses Beispiels aufzeigen, was mithilfe dieser Drittmittel möglich ist und was ohne sie alles nicht möglich wäre?

Dr. Thomas Grünewald: Grundsätzlich gilt: Wann immer eine Hochschule Neuland betreten will, muss sie die Mittel dazu einwerben. In wissenschaftsgeleiteten Wettbewerben bedeutet das, um die besten Ideen zu konkurrieren. Darum sind wir darauf angewiesen, ein Konzept auszuarbeiten, das überzeugt und mit dem wir im Wettbewerb gegen andere Hochschulen als Wettbewerbsteilnehmer bestehen. Und die sind auch nicht von schlechten Eltern.

Insofern war es schon ein großartiger Erfolg, dass wir unser Projekt „HNX“ eingeworben haben. Im Titel steht „Potenziale heben“. Das ist ganz wesentlich, was wir dabei tun können. Studierende entwickeln während dieser Zeit bei uns ihre Ideen für Innovationen. Aber der letzte Schritt, wirklich den Weg in die Gründung zu gehen, sich mit der Idee selbstständig zu machen, dieser letzte Schritt, der wird häufig nicht gegangen. Es liegt nicht am Ideenreichtum unserer Absolventinnen und Absolventen, sondern es geht darum, dass jemand diese kritische Phase eng begleitet als guter Ratgeber, als Förderer, als Unterstützer. Und das ist dabei unsere Rolle. Wir zeigen Wege auf, wie man das macht. Wir bahnen Kontakte zu Unternehmen an, wir öffnen Türen zu Fördermittelgebern und wir versuchen auf diese Weise Wegbegleiterin für Gründerinnen und Gründer zu sein. Dieses Handlungsfeld hätten wir ohne diese eingeworbenen Mittel so nie bespielen können.

Das andere Thema ist Entrepreneurship Education. Letztlich geht es darum, junge Menschen zu ermutigen, unternehmerisch zu denken. Das bedeutet nicht automatisch, die Selbstständigkeit einer Gründung anzusteuern. Es bedeutet, sie lernen sich selbst etwas zuzutrauen, eine Idee überhaupt zu artikulieren, sie zu buchstabieren, ein Konzept zu entwickeln und Wege zu suchen, dieses zu verwirklichen. Das kann im Rahmen einer größeren Organisation sein. Das kann aber auch im Rahmen einer selbstständigen Gründung sein.

Im Mittelpunkt stehen junge Männer und Frauen, die eine Idee haben und diese Idee zielstrebig verfolgen. Verwirklichung und Gelingen sind die Schlüsselwörter bei Entrepreneurship. Es geht dabei um Haltung, Aufgeschlossenheit, Neugierde, um Vertrauen zu sich selbst.

Junge Menschen lernen bei uns, wo sie sich Hilfe holen können, um eine Idee zu diskutieren. Sie lernen dabei, dass von fünf Ideen vier vielleicht nicht weiterführen. Aber vielleicht die fünfte. Sie lernen, nicht in Frustration zu erstarren, sondern aus dem Scheitern positiv herauszugehen.

Wenn ich eine zündende Idee habe, dann werde ich Unterstützung finden – ganz egal auf welchem Handlungsfeld ich mich betätige. Ob im sozialen, ökonomischen oder technologischen Bereich – wir begleiten und leiten unsere Studierenden als Wegbereiterin an. Das wäre ohne diese Förderungen nicht möglich gewesen. Wir wollen das Beste aus diesem Geld herausholen: für die Studierenden und für die Absolventinnen und Absolventen der Hochschule Niederrhein und damit auch der Region ein Angebot machen.

Die Hochschule hat sich in den vergangenen Jahren in Mönchengladbach stark verändert, vor allem auch, was ihre Raumsituation angeht. Unter anderem kamen mehrere Gebäude hinzu. Ist hier bereits das Ende der Fahnenstange erreicht? Oder was ist noch möglich bzw. auch vonnöten?

Dr. Thomas Grünewald: Unsere drei Standorte – ein großer in Mönchengladbach, zwei kleine in Krefeld – sind nie am Ende ihrer Entwicklung. Wir brauchen immer Ergänzung und Erneuerung. Das ist auch gegenwärtig im Prozess und wird nie aufhören.

Als Hochschule, die jetzt 50 Jahre alt ist und schon Vorgängereinrichtungen hat, die weit älter sind als 50 Jahre, sind wir infrastrukturell auch in einer Vielzahl von Gebäuden untergebracht, die praktisch aus allen Bauepochen des letzten Jahrhunderts bestehen. Das bedeutet, dass die Gebäude in einer unterschiedlichen Verfassung und Eignung sind. Sie müssen erneuert werden. Und da, wo etwas fehlt, wird ergänzt. Jüngstes Beispiel: an der Rheydter Straße. Das Stichwort ist hier „Lückenschluss-Grundstück“. Es wird ein Gebäude errichtet, das wir hoffentlich 2025 oder 2026 beziehen können. In diesem Gebäude wird der Fachbereich Textiltechnologie eine neue Werkstatt und Labormöglichkeiten bekommen. Der Architektenwettbewerb hat dafür bereits stattgefunden.

Natürlich haben wir auch ein besonderes Interesse daran, uns im Bereich der Standortentwicklung für den Innovationscampus im ehemaligen Polizeipräsidium einzubringen. Wir haben mit der Stadt Mönchengladbach gemeinsam das Konzept vorangetrieben, die Hochschulachse entlang der Webschulstraße zu entwickeln. Vom sogenannten Schotterparkplatz an der Rheydter Straße bis zum Monforts Quartier. So sind wir mit dem Zara Management Campus nun für die erste Phase ins Monforts Quartier eingezogen. C&A hat dort ihren Standort für die textile Modellfabrik als Teil unserer größeren T7-Konzeption. Die Hochschule ist im Monforts Quartier präsent, sie ist im Polizeipräsidium Partner, der Träger des Innovationscampus, sie ist auf ihrem Campus in einer baulichen Fortentwicklung und wir lassen zurzeit den Flächenbedarf der Hochschule neu errechnen bzw. neu erschließen, damit wir mit dem Land darüber verhandeln können, wie wir uns baulich weiterentwickeln können. Da sind auch Anmietungen in der näheren Umgebung des Campus Teil der Überlegung.

Das alles ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich über Jahre immer weiter fortschreiben wird. Insofern ist ein Campus nie fertig. Auch das gehört zum Wandel dazu.

Der Hochschule eilt manchmal noch ein wenig der Ruf voraus, dass sie eine Pendler-Hochschule sei und einerseits relativ wenig studentisches Leben in der Stadt auslöst, andererseits relativ wenig Studierende nach Ende ihres Studiums auch im Wirtschaftsleben vor Ort verhaftet bleiben. Was halten Sie diesem Vorurteil entgegen?

Dr. Thomas Grünewald: Ich würde das erst einmal nicht als Vorurteil klassifizieren, sondern ich würde erst einmal versuchen, eine nüchterne und seriöse Status-quo-Analyse zu machen. Die Hochschule Niederrhein ist nicht umsonst Hochschule Niederrhein. Sie ist die Hochschule der Region Niederrhein. Wir haben 86 Prozent unserer Studierenden aus der Region Niederrhein. Das betrachten wir nicht als einen Makel, sondern als einen Vorzug. Wir sind für die jungen Männer und Frauen der Region die erste Adresse, wenn es darum geht, ein Studium an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft (HAW) aufzunehmen. Wir müssen einfach von den jungen Leuten und ihren Chancen ausgehen.

Sie können in die berufliche Bildung gehen, sie können ein Studium an einer HAW bevorzugen, sie können aber auch ein Universitätsstudium bevorzugen. Und für die Gruppe, die ein Studium an einer HAW in Betracht zieht, wollen wir erste Adresse sein – und sind es auch in der Region. Es zeigt sich daran, dass 86 Prozent unserer Studierenden aus der Region kommen: unser Einzugsgebiet geht aus von unseren beiden Sitzen in Mönchengladbach und Krefeld bis hinein in den Kreis Heinsberg, in den Rhein-Kreis Neuss sowie in die benachbarten Kreise von Krefeld. Wir decken diese Region ab.

Dass viele unserer Studierenden zum Studium an unsere Standorte pendeln, würde ich erstmal nicht kritisieren, sondern nur als Tatsache zur Kenntnis nehmen. Eine regionale Hochschule zu sein bedeutet, dass man sich freut, wenn Studierende zu uns kommen. Wir sind z. B. sehr, sehr stark auch im Kreis Viersen vertreten. Wollen wir die Studierenden dafür kritisieren, dass Sie aus Viersen oder Kempen nach Krefeld oder Mönchengladbach kommen und nicht in Krefeld oder Mönchengladbach leben? Wir können eigentlich als Standorte Mönchengladbach und Krefeld nur versuchen, den Platz auf den Lebensort so attraktiv wie möglich zu machen, damit sich der eine oder die andere eben doch entscheidet, bei uns zu leben.

Nun ist das Image von Gladbach und seinem Campusleben so schlecht auch nicht. Denn wir haben immerhin einen relativ geschlossenen Campus in einer sehr schönen Umgebung an der Stadtgrenze zwischen Rheydt und Gladbach, und haben gute Chancen, mit dem Innovationscampus beispielsweise mehr Atmosphäre reinzubringen.

Im Übrigen ist es für die Fachkräftesicherung der Region und ihre Unternehmen eine gute Nachricht, wenn unser Einzugsgebiet so ist, wie es ist. Denn wir wollen uns alle nochmal bewusst machen: 14.300 Studierende sind bei uns willkommen. Wir freuen uns, dass die da sind. Und das ist für uns eine sehr, sehr gute Nachricht. Und wir wollen natürlich unsere Standorte und deren Campus-Umgebung so attraktiv wie möglich machen. Da beteiligen wir uns auch sehr, sehr gerne daran. Ich betrachte den Innovationscampus im ehemaligen Polizeipräsidium als eine Chance, ihn auch zu einem Anziehungspunkt für Studierende zu machen. Und da sollten wir auch gut vorankommen. Also von einem Vorurteil zu sprechen, da würde ich mich ein klein wenig gegen versperren.

Da knüpft auch die nächste Frage ein bisschen an. Der Wirtschaftsstandort Mönchengladbach wird sich stärker als bisher auf die Wissenswirtschaft ausrichten, also darauf, höher qualifizierte, besser bezahlte Berufe und Arbeitsplätze in der Stadt abzubilden. Wie kann die Hochschule zu dieser Entwicklung positiv beitragen?

Dr. Thomas Grünewald: Nun, wir sind ein Träger von Wissen, Bildung und Ausbildung. Die allermeisten Berufe brauchen heute wissensbasierte und wissenschaftsbasierte Kompetenz, ob sie in der beruflichen Bildung unterwegs sind, im Handwerk, im Studium. Im Moment ist das egal. Es gibt kaum eine Berufstätigkeit, die keine Kompetenzprofile von ihren Fachkräften verlangt, die anders als wissensbasiert wären. Insofern stehen wir gemeinsam mit der Stadt und ihrer Wirtschaftsförderung für Mönchengladbach als Wissensstandort ein. Die höchstqualifizierten Berufe sind die besten, die man ansiedeln kann oder auch halten kann, und das durchzieht alle Branchen und alle auch Kompetenzniveaus des Qualifikationsrahmens, in dem wir uns da bewegen.

So kooperieren wir wie selbstverständlich und auch völlig entspannt und vertrauensvoll mit dem Handwerk. Denn wir haben überhaupt keinen Grund, an irgendeiner Stelle eine Grenze zu ziehen, wenn es etwa darum geht, dass unsere Fachleute für Maschinenbau und Verfahrenstechnik Fachkräften des Kfz-Gewerbes bei ihrer Weiterbildung zu helfen. Wir haben keine Grenzen vor Augen und keine Berührungsängste, wenn es darum geht, für die Textilbranche das gesamte berufliche Spektrum vom Ausbildungsberuf bis zum Hochschulstudium abzudecken. Wir wollen in der grundständigen Ausbildung und in der Weiterbildung so eng wie es geht zusammenarbeiten und dabei keine Grenzen ziehen, sondern eher bestehende Grenzen überwinden helfen. Auch durch das duale Studium, auch durch das reale Studium, das wir gemeinsam mit dem Handwerk betreiben. Dafür stehen wir als Hochschule wirklich aus voller Überzeugung ein.

Kommen wir leider auch schon zum Ende des Interviews: Was wünschen Sie sich persönlich für Ihre Zeit als Präsident der Hochschule Niederrhein?

Dr. Thomas Grünewald: Nun, ich wünsche mir den Erfolg dieser Hochschule. Ich wünsche mir, dass die Hochschule ihre Rolle spielen kann im Strukturwandel für das Rheinische Revier, in der Standortentwicklung für die regionale Wirtschaft, in der Stadtentwicklung für die Städte, in denen wir aktiv sind und für deren Entwicklung wir Mitverantwortung tragen und übernehmen möchten. Und ich möchte mich vor allen Dingen einsetzen und würde mich freuen, wenn es gelingen würde, den Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in unserer Region und namentlich auch in Mönchengladbach zu intensivieren. Ich möchte nicht erleben, dass die Hochschule Niederrhein an Schwung verliert. Ich möchte nicht erleben, dass sie an Studierenden verliert. Wir möchten gerne der demografischen Entwicklung trotzen. Wir möchten für Zuzug und Wachstum in unseren Städten und Gemeinden sorgen. Wenn wir dazu unseren Beitrag leisten könnten, dann werden meine Wünsche für meine Amtszeit als Präsident der Hochschule Niederrhein erfüllt.

Das war ein sehr, sehr schönes Schlusswort, Herr Dr. Grünewald. Vielen Dank für das sehr spannende Interview. Und ich würde mich freuen, wenn wir uns im September vielleicht auf ein Hochschulbier treffen würden.

Dr. Thomas Grünewald: Ich würde mich freuen, wenn wir das dann einlösen können. Vielen Dank auch Ihnen für die gute Gesprächsführung.

Dankeschön!


 

Eine kurze Vita von Dr. Thomas Grünewald ist hier zu finden.

Weitere Informationen gibt es auf der Startseite der Hochschule Niederrhein.